Wenn Ernährung zur Religion wird

Orthorexie – unbedingt „richtig“ essen

Eine neue Luxus-Krankheit ist geboren – Orthorexie. Der Begriff kommt aus dem Griechischen und lässt sich mit „der richtige Appetit“ übersetzen. Immer mehr Menschen wollen unbedingt richtig essen und verschreiben sich deshalb mit Leib und Seele einer bestimmten Ernährungsform. Dann wird diese mit fast religösem Eifer verteidigt, angepriesen und Freunde, Kollegen, Familie  werden ungefragt aufgeklärt und missioniert. Oder es gibt strafende Blicke für jene, die sich nicht an die eine richtige Ernährung halten. Auf Geburtstagsfeiern gibt es Speisen und Getränke, die nicht so recht munden aber sehr gesund sind, fit halten und ein langes Leben versprechen. Genuss spielt keine Rolle mehr, es schmeckt was „richtig“ ist.

 Schlankheitsdiäten und andere Ernährungsformen

Lange Zeit waren es die Schlankheitsdiäten in diversen Zeitschriften, die uns einzureden versuchten, dass wir mit genau dieser Diät eine Traumfigur bekommen. Mittlerweile ist dieses Thema ziemlich durch. Nebenher entwickelten sich Ernährungsformen wie Vollwertküche, Rohkost, Vegetarische, Vegan, Makrobiotisch, Bio-Lebensmittel und seit einiger Zeit das Gegenteil von Vegan: Paläo.  Alle diese Diäten versprechen Gesundheit, Fitness und ein langes vitales Leben.

Diäten und Ernährungsformen haben einige Gemeinsamkeiten: der Erfinder ist jetzt reich. All jene, die ihnen verbissen folgten und andere überzeugen wollten, haben jetzt weniger Freunde, soziale Beziehungen gehen kaput. Wenn es so weit kommt, dann meinen Therapeuten, jetzt müssten sie therapieren.

Orthorexie – eine Essstörung?

Als Essstörung oder Krankheit ist Orthorexie (zum Glück) noch nicht anerkannt. Auch gibt es noch KEINE Selbsthilfegruppen. Aber es gibt schon konkrete Empfehlungen, wie Betroffenen geholfen werden kann. Zwanghaft gesunde Ernährung führt bei ca. einem Prozent der Bevölkerung  zu seelischen und sozialen Schwierigkeiten. Diese Zahl ist geschätzt und durch keine seriöse Studie bestätigt. Orthorektiker (auch ein neues Wort) räumen der Nahrung einen übertriebenen Stellenwert ein. Bei einigen wenigen führt das zu einer Besessenheit. Sie geben viel Kraft, Zeit und Energie in die Essensplanung und den Einkauf der gesündesten Lebensmittel. Einladungen können nicht mehr angenommen werden, denn dort gibt es womöglich keine guten Lebensmittel. Viel schlimmer ist aber, wenn es zu sozialen Konflikte kommt. Denn Freunde, Familie und Kollegen wollen nicht missioniert werden.

Orthorexie – eine  Krankheit?

Um eine Erkrankung zu bestätigen, muss eine Anamnese (Untersuchung) durchgeführt werden und eine Diagnose gestellt werden. Das ist ein immer gleich ablaufender Prozess. Da Orthorexie eher auf der psychischen als auf der körperlichen Ebene abläuft, wird der Therapeut versuchen herauszufinden, ob sich die Gedanken ständig um „Richtiges Essen“ drehen und wie derjenige damit umgeht, wenn er von seinen Vorsätzen abgewichen ist. Unbedingt muss auch erfragt werden, ob es schon zu sozialen Konflikten und Abschottungen gekommen ist. Letzteres sehe ich jedoch für weniger wichtig an, denn immer, wenn ein Mensch etwas ändert an seinen Gewohnheiten, wird er Freundschaften verlieren und Anfeindungen erleben.

Betroffen – was tun?

Unbedingt sollte ein Spezialist gucken, ob eine Behandlung wirklich erforderlich ist. Denn auf gutes Essen zu achten, sollte nun wirklich nicht dramatisiert werden. Im Allgemeinen sind Orthorektiker davon überzeugt, dass sie alles richtig machen. Sie stellen sich nicht in Frage. Deshalb wird es eher selten vorkommen, dass eine Fachkraft aufgesucht wird. Es besteht auch keine Gefahr für sich selbst oder andere, somit handelt es sich bestenfalls um eine Neurose. Kein Gesetz gibt her, dass ein Orthorexie-Betroffener eingewiesen werden kann.

Ist so viel Selbstreflexion vorhanden, dass da etwas aus dem Gleichgewicht gekommen ist, ist die halbe Therapie schon gelungen. Betroffene können sich an Psychologen oder Therapeuten wenden, die sich auf Essstörungen oder Zwangsstörungen spezialisiert haben.

Mein Statement

Ich kenne niemanden, der durch Schlankheitsdiäten nachhaltig abgenommen hat oder bei dem Krankheiten verschwunden sind, in dem sie/er einer strengen Ernährungsform oder einseitiger Ernährung z. B. weglassen von Fleisch oder Getreide, praktiziert. Nach meinen Beobachtungen ist moderate Bewegung am besten geeignet, um langfristig Erfolge für Gewichtsreduzierung und Vitalität bis ins hohe Alter zu erreichen.

Trotzdem ist es sinnvoll auf seine Ernährung zu achten und eine Ernährungsumstellung kann durch aus Krankheitsverläufe positiv beeinflussen und das allgemeine Wohlbefinden verbessern. Hier einige Beispiele, bei welchen Krankheiten eine Ernährungsumstellung wirklich sinnvoll :

  • Allergien, Neurodermitis, Asthma – durch Weglassen von Weizen, Hühnereiweiß oder Milchprodukte.
  • Krebs und Diabetes Typ 2 – durch die Coy-Diät, weil Krebszellen nicht mehr ernährt werden und der Blutzuckerspiegel gesenkt wird
  • Gicht – durch Weglassen von Alkohol und Fleisch
  • Rheuma – durch basische Ernährung (viel Gemüse und wenig Zucker, Getreide, Fleisch)

Aber im Allgemeinen tritt der Heilungseffekt nur dann ein, wenn noch andere therapeutische Maßnahmen hinzugezogen werden. Lediglich bei Allergien, Neurodermitis und Asthma gibt es nach meiner Schätzung aus der Praxis etwa 10 % der Betroffenen, die allein durch Ernährungsumstellung für lange Zeit symptomfrei geworden sind.

Meine empfohlene Ernährungsform:

  • Essen Sie, was Ihnen schmeckt, worauf Sie Lust haben.
  • Beobachten Sie sich selbst, ob es Ihnen bekommt.
  • Gemüse sollte einen großen Teil der Ernährung ausmachen.
  • Genießen Sie die Genussmittel – dafür sind diese da.
  • Kaffee ist gesünder als oft behauptet.
  • Auch Alkohol in Maßen schadet nicht – außer es besteht eine konkrete Erkrankung.
  • Vollkorn ist gut – aber nicht in jedem Falle.
  • Nahrungsmittelallergien gibt es so gut wie gar nicht – meist sind es Unverträglichkeiten.
  • Wenn die Verdauung Probleme bereitet, versuchen Sie Flohsamenschalen, Papayakerne oder täglich einen Teelöffel Apfelessig in ein Glas Wasser. Es müssen nicht gleich Probiotika sein.
  • Nehmen Sie sich viel Zeit für das Essen, lassen Sie sich nicht stören dabei. Denn Verdauung beginnt im Mund.

 

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