veröffentlicht im KGS-Berlin Juli/August 2019
So lebensnotwendig wie Nahrung, Luft und Licht für das Gedeihen von uns Lebewesen sind, so notwendig sind Berührung, Körperkontakt und Hautstimulation für ein gesundes Aufwachsen von Säuglingen und später für unser allgemeines Wohlbefinden und Gesundheit.

Berührung als heilende Kraft

Berührung wird oft auch als die „älteste Heilkunst“ der Welt bezeichnet. Eine der wohl verbreitetsten Methoden ist die Fußreflexzonen-Massage. In allen Kulturen gibt es traditionelle Massage-Techniken z. B. Tuina bekannt aus der Chinesischen Medizin; Hilot-Massage von den Philippinen; Lomi-Lomi, eine hawaiianische Tempelmassage. Auch in unserer Kultur spielt Berührung, die über Massagetechnik hinausgeht, eine große Rolle. Genannt seien hier die Feldenkrais-Methode, Grinberg-Methode, Rosen-Methode, Alexander-Technik, Rolfing und Atemtherapie.
Eine heilende Kraft können nur die Berührungsmethoden entwickeln, deren Berührung weder aus begehrlichen Absichten noch aus manipulierenden Massagetechniken und -griffen bestehen. „Heilsam“ kann eine Berührung werden, wenn diese nicht-fordernd, jedoch wohlwollend und einfühlsam gegeben wird, die der berührten Person das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermittelt.
Ein weiterer wichtiger Hintergrund ist die Tatsache, dass Berührung auch unsere erste Form der Verständigung und somit unsere erste Sprache ist, die wir lernen, und sie bleibt zeitlebens eine unserer reichsten Ausdrucksmöglichkeiten.
Sanfte, achtsame Berührungen sind eine besondere Art der Kommunikation zwischen Menschen, die besonders auf der emotionalen Ebene viel mehr mitteilen können, als Worte es vermögen. Gerade für unsere Gefühle fehlen oft die richtigen Worte. Über den Tastsinn und viele Rezeptoren, die unter unserer Haut zu finden sind, können dem Gehirn Informationen mitgeteilt werden, für die es oftmals keine Worte gibt. Diese Informationen werden im Gehirn verarbeitet und regulieren die Mehrheit der lebenswichtigen Funktionen, den Hormonhaushalt und unsere seelische Gesundheit.

Berührung in der Forschung

Das uralte Menschheitswissen um die Berührung wurde in den letzten Jahren immer wieder wissenschaftlich erforscht. Die Forscher kamen zu teilweise überraschenden Ergebnissen. So fanden Forscher heraus, dass durch angenehme Berührung Botenstoffe, die im Volksmund auch als Glückshormone bekannt sind, vermehrt gebildet und freigesetzt werden. Eine besondere Bedeutung hat dabei das Bindungshormon Oxytocin, welches in einer Hormondrüse des Gehirns (Hypophyse) ausgeschüttet wird. Oxytocin senkt den Spiegel des Stresshormons Cortisol. Das bewirkt im menschlichen Körper unter anderem, dass sich Atem und Herzschlag verlangsamen und der Blutdruck absinkt. Verringert sich das Stresshormon Cortisol im Körper, stärkt das den Parasympathikus, jener Teil unseres unbewussten Nervensystems, der uns entspannen und genießen lässt. Die schönen Seiten des Lebens werden für uns zugänglicher.
Eine der Pionierinnen auf diesem Gebiet ist die schwedische Bindungsforscherin Kerstin Uvnäs Moberg. Sie stellte ausführliche Untersuchungen über die Auswirkung von Oxytocin auf unser Leben und unsere Beziehungsfähigkeit an. In ihren Untersuchungen spricht sie von dem menschlichen „Säugetiererbe“, was uns das Bedürfnis nach Berührung mit auf die Welt bringen lässt.
Jede Art von zugewandter Berührung bildet im Körper Oxytocin und begünstigt und stärkt die Voraussetzung für ein gesundes Bindungsverhalten, Empathie und Vertrauen.

Kindliche Entwicklung

Berührung ist in der kindlichen Entwicklung ein elementarer Bestandteil. Erfahren Kinder zu wenig Berührung, kann es zu Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten kommen. So ist es gut zu wissen, dass Eltern heute in der Regel um die Bedeutung von Berührung für ihre Kinder wissen. Nehmen sich Eltern mehr Zeit, ihre Kinder zu streicheln, zu wiegen und zu herzen, ermöglichen sie so ihren Kinder mit mehr Selbstvertrauen in ihr Leben zu gehen.

Berührungsdefizit kann nachgeholt werden

Darüber hinaus gibt es das weite Feld der professionellen heilsamen Berührungen, die gegen ein großes Spektrum von Beschwerden angewandt werden können. Solche sanften Massagen in vielerlei Form sind und waren in fast allen Kulturen verbreitet. Dieses alte Wissen wird immer weiterentwickelt, erforscht und in Studien dokumentiert. Neuere Untersuchungen lassen den Schluss zu, dass im Gehirn verankerte Auswirkungen von Berührungsdefiziten durch „nachgeholte“ Berührungen, sei es in befriedigenden Beziehungen oder auch durch professionelle Behandlungen, überschrieben und korrigiert werden können.

Körperarbeit und Körperpsychotherapie
Als Berlinerin ist es mir ein besonderes Anliegen, in diesem Zusammenhang auf Elsa Gindler hinzuweisen, die seit etwa 1915 bis zu ihrem Tod 1961 in Berlin gewirkt und viele Körpertherapeuten nachhaltig beeinflusst hat. Eine dieser Körpertherapeuten ist Marion Rosen, die Begründerin der nach ihr benannten Rosen-Methode. Marion Rosen wurde durch ihre Lehrerin Lucy Heyer mit dem Gedankengut von Elsa Gindler in den 1930er Jahren vertraut. Lucy Heyer arbeitete in München gemeinsam mit ihrem Mann, dem Psychotherapeuten Gustav Heyer in einer gemeinsamen Praxis. Sie konnten erste Erfahrungen sammeln, dass die Kombination von Gesprächstherapie und Körpertherapie in vielen Fällen die Heilungsverläufe deutlich verkürzen. Marion Rosen absolvierte dort eine zweijährige Ausbildung. In Schweden konnte sie ihr Wissen durch eine Ausbildung in Physiotherapie erweitern, und danach arbeitete sie viele Jahre in eigener Praxis in Berkeley, Kalifornien. Hier entstand, ganz aus ihrer praktischen Erfahrung heraus, die später nach ihr benannte Rosen-Methode, die vor mehr als 25 Jahren ihren Weg nach Deutschland zurückgefunden hat und mehr und mehr Verbreitung findet. Alan Fogel, US-amerikanischer Psychologie-Professor hat die Wirkungsweise von Körperarbeit erforscht und insbesondere die Rosen-Methode in seinem Buch „Selbstwahrnehmung und Embodiment in der Körperpsychotherapie“ ausführlich beschrieben.

Resümee

Wenn Sie das Gefühl haben, es sollte mehr Ruhe und Gelassenheit in ihr Leben kommen, versuchen Sie es mit einer entspannenden Massage, einer Fußreflexzonen-Massage, einer Feldenkrais-Behandlung oder einer Behandlung nach der Rosen-Methode. Und, wer weiß, vielleicht wird es ja eine Art Zaubertrank für Sie?

Verwendete Literatur: Wikipedia „Harry Harlow“ und „John Bowlby“; Alan Fogel „Selbstwahrnehmung und Embodiment in der Körperpsychotherapie“; Uvnäs Moberg „Ocytocin, das Hormon der Nähe“.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner