„Das verlassene Kind“ oder „Wie Zorn entsteht“
Kinder, die von ihren Eltern geschlagen, vernachlässigt und nicht kindgerecht versorgt werden, rebellieren selten und schützen oft ihre Eltern, würden diese nie verraten. Dieser Fakt ist nicht neu. Oft kämpfen diese Kinder jahrelang um die Liebe und Zuwendung ihrer Eltern und erbringen dafür Höchstleistungen. Und die Eltern würdigen es nicht, nehmen es als selbstverständlich hin.
Mir sind immer wieder Menschen – erwachsene Kinder – begegnet, die genau diese Stellung in der Familie hatten, die auf Grund ihres kindlichen Erleben unbewusste Verhaltensmuster entwickelt und Gefühle unterdrückt haben. Oft ist eine jahrelang unterdrückte Wut vorhanden, die sich im Körper niederlässt in Form von Verspannungen oder psychosomatischer Erkrankung. Diese Wut ist als Hintergrundgefühl immer präsent, beeinträchtigt die Lebensfreude und bricht dann in unpassenden Momenten mit unangemessener Heftigkeit aus.
Das Thema begegnet mir immer wieder in meinen Stunden, ich kenne es in Ansätzen auch aus meiner eigenen Biografe. Denn die besten Eltern können nicht perfekt sein. Und manche Eltern versuchen es nicht einmal. Auch dafür gibt es Gründe.
Deshalb habe ich mich mit der Frage „Was passiert da eigentlich?“ auseinandergesetzt.
Kinder, die von ihren Eltern verlassen, vernachlässigt, missbraucht oder in elterliche Probleme verstrickt werden, schaffen sich oft eine illusionäre Verbindung zu Vater/Mutter. Das Kind idealisiert seine Eltern. Das dient ausschließlich dem Überleben (denn ein Kind ist von den Eltern abhängig und weiß nur dass, was die Eltern ihm vorleben; es hat noch keine Vorstellung, was ihm zusteht und versucht daher, es den Bezugspersonen recht zu machen). Der Nutzen, den ein Kind daraus zieht, besteht darin, dass es sich so eine Entsprechung für sein Wunschbild schafft, elterlicher Fürsorge und Unterstützung zu bekommen. Um diese Scheinwahrheit aufrecht zu erhalten, muss das Kind sich selbst als böse betrachten. Deshalb wird ein geschlagenes Kind nicht denken „wie unmöglich von meinen Eltern, dass sie mich schlagen“ sondern betrachtet sich als böse und deshalb musste es von den Eltern geschlagen werden. Das Kind gibt sich die Schuld, übernimmt die Verantwortung und entschuldigt sogar das schreiende, schimpfende, strafende Verhalten der Eltern. Die Eltern wiederum sind unfähig, für ihr Handeln die Verantwortung zu übernehmen, ihr Verhalten zu reflektieren und zu korrigieren. Sie wälzen alle Verantwortung auf ihr Kind ab. Sie lassen ihr Kind mit der Schuld allein. Deshalb sind solche Kinder „verlassene Kinder“, denn die Eltern waren nicht wirklich mit ihnen verbunden, für sie da und emotionale Stützen. Diese Eltern haben ihre Kinder mit all ihren Schmerzen, Trauer, Wut allein gelassen, ja ihnen sogar die Schuld und Verantwortung aufgeladen.
Dieses von außen auf das Kind einwirkende Verhalten der Eltern oder anderer Bezugspersonen, wird nach und nach zur inneren Stimme des Kindes: „Du bist nicht gut genug“, „Du bist hässlich.“ „ Du bist böse.“ Es ist für ein Kind nicht zu verstehen, dass die eigenen Eltern grausam, nicht perfekt, hilfebedürftig oder sogar seelisch krank sind.
So bleibt die Lebendigkeit und Spontanität des Kindes auf der Strecke, auch das angeborene Urvertrauen wird zerstört. Häufig entsteht in dem Kind dann ein Zorn, der aber nicht geäußert werden kann, aus Angst von den Eltern dann abgelehnt, verstoßen, nicht mehr geliebt zu werden.
Im Erwachsenenalter bleibt dieser Zorn dann als Hintergrundstimmung oder „innere Stimme“ bestehen und bricht in aller Heftigkeit durch manchmal nichtige Auslöser aus.
Oder – und das ist viel schlimmer – der Zorn wird auf die eigenen Kinder übertragen, so wie es schon die Eltern getan hatten. Es handelt sich dabei um Abwehrmechanismen, die davor schützen sollen, mit den eigenen Gefühlen der Bedürftigkeit und des Schmerzes konfrontiert zu werden.
Mehr dazu finden Sie auch bei WIkipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Parentifizierung
Weitere Informationen über meine Arbeit als Heilpraktikerin finden sie unter: www.heikehessler.de
Dieser Artikel entstand bei meinem Selbststudium des Buches „Wenn Scham krank macht“ von John Bradshow. Die Idee, diesen Artikel zu schreiben, entstand, weil diese verstrickten Eltern/Kind-Beziehungen immer wieder in den Sitzungen eine Rolle spielen. Zu mir kommen sowohl die Eltern als auch die Kinder.